Der Freundschaftswerwolf

Seltsam ist es, wenn sich Miss Milch manchmal einfach einen echt entspannten Abend machen will – sitzt mit Tee und frisch geschälten Äpfeln vorm Fernseher und versucht sich auf irgend einen total tollen Heul-Frauen-Schnulzenfilm zu konzentrieren, doch dann piept ihr Handy: Miss Milch, lange nicht gesehen, hast du Lust noch vorbei zu kommen, heute spielt hier eine total süße Band aus Köln!

In mir meldet sich der Werwolf zu Wort: Miss Milch, die wolltest du doch sehen, diese süßen Kölner Jungs, die noch dazu das Herz am rechten Fleck haben. Miss Milch, jetzt scheu dich nicht so, nix wie hin da…..

Das Engelchen in mir schreit: NEIN – DU BLEIBST WO DU BIST UND PACKST DEIN ZEICHENZEUG WEITER AUS, DU HAST EINE MISSION!!!

Miss Milch ist mal wieder hin und her gerissen, in dem Moment klingelt ihre Eieruhr und sie eilt in die Küche, weil die Nudeln natürlich mal wieder am Überkochen sind, wie das immer so ist.

Miss Milch überlegt noch etwas, während sie sich einen Berg Nudeln auf den Teller schaufelt, kommt dann zum Schluss, dass sie nur einmal jung ist und springt in ihre Dancing-Shoes, checkt noch fix den Busfahrplan und sprintet zur Haltestelle. Außer Atem erreicht sie den Bus – muss noch einmal umsteigen, um zur Reeperbahn zu kommen und trifft auf 7 holländische Fußballspieler, die sie direkt in ein Gespräch verwickeln.

Miss Milch im Stechschritt – verpasst schon den Anfang des Konzerts, die Jungs scheinen eigentlich einen netten Eindruck zu machen, aber Miss Milch hat nun mal eine ganz andere Mission an diesem ABEND!!! Freundschaftspflege gepaart mit einem netten Konzert und sonst nichts weiter.

Die Mailadresse des Sportlers wandert in Miss Milchs Tasche, dann muss sie sich sputen und kommt direkt zur letzten halben Stunde beim Konzert an. Die Jungs sind niedlich – richtig süß, doch das Publikum ist geschätzt 10 Jahre jünger als Miss Milch und sie fühlt sich ein bisschen verloren, während ihre Freundin irgendwo rumwuselt.

Nach dem Konzert quatschen wir noch kurz mit den Jungs – süß sind die, echt wahr… dann wird es Zeit für uns, endlich zu gehen. Wir sitzen in einer Kneipe, meine Freundin hat den Blick, jedem männlichen Gast zu suggerieren, nein, wir beide wollen reden und niemanden kennen lernen. Innerlich schmunzel ich etwas – weil es wirklich an der Zeit ist, dass wir hier einfach quatschen, quatschen und quatschen. Wir wechseln die Location – sitzen in meinem Lieblings-Rocker-Laden und ich überlege noch fix, ob ich meinen besten Freund antexten soll. Doch er scheint schon zu schlafen, außerdem hat er ohnehin einen komischen Film gefahren und jetzt – jetzt sitzen wir da. Der Barmann macht uns klar, dass das die letzte Runde ist. Der Zeiger der Uhr wandert von 3 Uhr auf 6 Uhr und ich hab keinen Schimmer, wo die Zeit geblieben ist. Der Typ neben uns versucht es auf die ganz harte Nummer: „Mein Freund, der ist so alleine – ich hab leider nen Ring am Finger, deshalb konnten wir bisher nicht bei den Mädels landen, habt ihr nicht….“

Wir lächeln beide, schütteln den Kopf, wir wären mit uns beschäftigt und müssten reden. Auch seinen zweiten Versuch schütteln wir ab. Er ist sichtlich enttäuscht.

Um kurz nach sechs beschließe ich, verdammt, draußen wird es hell, ich muss ins Bett, dringend. Wir verlassen den Laden, schnappen uns ein Taxi und fahren nach hause. Endlich – viel zu spät, aber gut so. Der Taxifahrer – total nett, erzählt mir von seinem Abend und ich ihm von meinem.

Ich winke noch fix zum Bäcker an der Ecke hinein, der mich fragt, ob ich mir nicht ein frisches Schokocroissant mit hoch nehmen möchte. Ich lasse mich breit schlagen, falle ins Bett und bin zufrieden, auch wenn der Samstag dafür im ARSCH IST, es war ein verdammt gelungener Freundschaftsabend. Danke Freundschaftswerwolf, aber beim nächsten Mal könnte das auch früher enden, okay???

Strampeln, schwitzen, stöhnen

„Miss Milch – höher, das muss höher! Dehnen, das muss weh tun – sonst bringt es nichts“ schreit mich der Typ im viel zu knappen Dress an. Und ich bin völlig paralysiert von dem Angeschrien werden, dass ich unter Schmerzen versuche mein Bein noch höher zu heben. Es zittert. Es bebt und ich komme mir vor, wie der personifizierte Zitteraal, aber irgendwie scheint dieser Knackpo im extra atmungsaktiven Oberteil in Größe XS neben seinem Trainer-Seminar noch einen Zusatzkurs „Tyrannei im Sportkurs“ besucht zu haben. Und woher weiß der gute Mann eigentlich meinen Namen?

„Miss Milch – konzentrieren sie sich nur auf ihr Bein – sie sind abgelenkt – gegrinst wird nicht!“ – reißt er mich aus meinen Gedanken. Ich blicke wie ein eingeschüchtertes Eichhörnchen und am liebsten wäre ich davon gelaufen, hätte dem guten Mann im viel zu engen Trainingsoutfit gerne gesagt – „Pah, mach den Scheiß doch alleine“, doch ich war mir nicht sicher, ob der mir im Zweifel und nachdem er seinen Zusatzkurs scheinbar mit extra Sternchen abgeschlossen hat, nachläuft, mich am Arm packt und ich noch 10 Liegestützen extra machen darf. Das würde ich in diesem zittrigen Zustand nicht verkraften.

Andere Leute kriegen einen Herzinfarkt wegen zu viel arbeit – ich lass mich hier noch zusätzlich vom Hüpf- und Springkurs-Trainer schikanieren und das sogar freiwillig. Bin ich denn meschugge?

Ich kann´s mir nur so erklären, dass ein Teil unserer Gesellschaft masochistisch in manchen Bereichen veranlagt ist und immer wenn ich kurz davor bin, mein Handtuch zu schnappen und das Bein vom Zittern zu befreien, kriegt mich dieser NON-FETT-Typ doch wieder „Na, Mädels, ihr wollt doch im Sommer knackig aussehen – dann müsst ihr jetzt ran an den Speck!“. Ich beobachte die anderen Kursteilnehmerinnen – nachdem grinsen ja nicht angesagt ist, nicken wir uns mitfühlend zu und wissen – „verdammt, er hat ja so recht!“ und quälen uns weiter.

Und dann kommt endlich nach dem technoverseuchten Sportprogramm die Elton-John-Entspannungsmusik, bei der wir uns auf den Rücken legen sollen, die Augen schließen und das Bein am besten hinter den Kopf legen, damit es ordentilch gedehnt ist. Bei mir scheitert das Vorhaben schon am ausgestreckten Bein – spontan wirft sich der Trainer neben mich auf den Boden, erklärt in seinem Militärton, dass ich mir das genau angucken soll, so ginge das. Mit großen Augen beobachte ich, wie er sein Bein, als wäre es aus Gummi, einfach hinter den Kopf legt, mit den Fußspitzen auf den Boden tippt und dabei weder angestrengt aussieht, noch in Atemnot verfällt. Er grinst sogar noch dabei und kein Speckröllchen zeichnet sich an seinem Bauch ab. „Sie müssen hier schon an ihre Grenzen gehen, sonst bringt das nichts!“ motzt er – scheint so, als hätte er noch nie einen so schlechten Kurs gehabt, wie heute. Ich nicke mit einem etwas gequetschten Lächeln – strenge mich an und weiß genau, dass diese Entspannungsübung auch noch mein letztes Band und den letzten Muskel in meinem Körper dermaßen verausgabt, dass es ein Wunder wäre, wenn ich mich am nächsten Tag noch bewegen kann.

Nachdem er feststellen musste, dass bei mir einfach Hopfen und Malz verloren ist, kümmert er sich um eine Mitturnerin, die ebenfalls vor Ehrfurcht alles versucht, doch scheitert.

Er bedankt sich für unseren Einsatz – beim nächsten Mal hätte er gerne etwas mehr von allem, sonst wird das ja nie was bis zum Sommer. Dann wendet er sich wieder der Musikanlage zu, schmeißt wieder schmissige Technomusik ein und würdigt die gescheiterten Trainings-Ladys keines Blickes mehr – sondern betrachtet seinen fettfreien Körper im Spiegel.

Völlig erschöpft rappel ich mich von meiner Matte hoch, im Schneckentempo. Greife nach meinem Handtuch und der Matte und schleiche völlig erledigt aus dem „Folterraum“. Mir tut jetzt schon alles weh, aber innerlich weiß ich auch – in zwei Tagen stehe ich wieder hier und lass mich vom Militärmän anmachen – der Spruch mit dem Speck, damit kriegt er mich halt dann doch…